VON WILHELM GERNTRUP Porta Westfalica-Kleinenbremen (gp). So viel Maschinenlärm, Schwerlastverkehr und Sprachengewirr hatten die im und entlang des Wesergebirges wohnenden Leute noch nicht erlebt. Der Bau der neuen Autobahn lief 1937 auf Hochtouren. 1939, also vor 75 Jahren, wurde der Streckenabschnitt zwischen Bad Nenndorf und Bad Salzuflen freigegeben. |
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Die Chefplaner hatten alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Strecke Köln-Berlin fertig zu kriegen. Rund um die Uhr wurde gebaut, gesprengt und Material transportiert, denn man war im Verzug. Die Trasse wurde als Aufmarsch- und Nachschubverbindung von der Rüstungsindustrie im Ruhrgebiet in Richtung Osten gebraucht. Zwei Jahre später überfiel die Wehrmacht Polen. Dass das Autobahn-Projekt unter Zeitdruck geriet, hatte mit Schwierigkeiten bei der Überwindung der heimischen Anhöhen zu tun. Der weitaus größte Teil der West-Ost-Verbindung war fertig. Vor und hinter Herford und Bad Nenndorf fuhren bereits Autos. Gebuddelt wurde nur noch auf dem gerade mal 20 Kilometer langen Zwischenstück zwischen Ölbergen (Auetal) und Veltheim. Die Planung und Umsetzung des Gebirgsübergangs hatte sich als äußerst kompliziert erwiesen. Schließlich kam man überein, zur Überwindung der zahlreichen und sehr unterschiedlich ausgebildeten Senken und Schluchten sechs große Talbrücken zu bauen, eine auf der Süd- und fünf auf der Nordseite. Der größte, fast 30 Meter hohe und mit 29 Bogenöffnungen spektakulärste Viadukt entstand an der Arensburg. Die anderen, zwischen 24 und 26 Meter hohen und bis zu 250 Meter langen Übergänge wurden (von West nach Ost) oberhalb von Kleinenbremen, Schermbeck (zwei), Luhden und Ölbergen in die Landschaft gesetzt. Gewaltige Massen Erde wurden bewegt Eine Herausforderung für die Planer stellten auch die gewaltigen Erdbewegungen dar. Allein an der Übergangsstelle zwischen Papenbrink und Langer Wand musste der komplette Südosthang des Papenbrink 20 Meter tief weggesprengt werden. Ein Stück weiter, bei Schermbeck, waren bis zu 30 Meter hohe Geländeaufschüttungen erforderlich. In den ersten Überlegungen war auch eine "ebenerdig", wesentlich einfachere und preiswertere Trasse durch die Porta-Schneise überlegt worden. Doch die neuen Straßen "sollten den Geist der neuen Zeit widerspiegeln, sich wie ein Fluss der Landschaft einfügen und mit ihr verschmelzen", hieß es in den NS-ideologischen Leitvorgaben. Gleichzeitig müssten sie ihr (der Landschaft) "neuen Zauber hinzufügen und damit in die Reihe der unvergänglichen Kulturschöpfungen eintreten". Die architektonische Umsetzung lag in den Händen der Architekten Karl Schächterle, Ernst Gruber und Wilhelm Fricke. Für die Brücken auf der Nordseite wählte man Solling-Sandstein, für die Brücke übers "Teufelstal" zwischen Todenmann und Kleinenbremen Blöcke aus dem Elbsandsteingebirge. Hauptumschlagplatz für Maschinen und Material war der Bahnhof Rinteln. Zunächst wurden hauptsächlich Bauhandwerker und Arbeitslose eingesetzt. Daneben waren Maurer aus Italien im Einsatz. Als die Zeit gegen Ende 1938 immer knapper zu werden begann, wurde durch Österreicher und Zwangsrekrutierte aus Böhmen aufgestockt. Ende 1938 waren zeitweise mehr als 3000, von den Einheimischen "Autobahner" genannte Arbeitskräfte im Einsatz. Zur Unterbringung der Männer waren sieben Barackenlager aufgestellt worden - in Eisbergen, Fülme, Schermbeck, Luhden, Steinbergen, an der Arensburg und im Auetal. Ingenieure und andere Aufsichtführende waren meist in Privathäusern einquartiert. Der Arbeitstag dauerte zwölf bis 14 Stunden. Als man trotz der zusätzlichen Anstrengungen nicht schneller vorwärts kam, rückten jeden Sonntag, wenn die Autobahner ihren Ruhetag hatten, an die 2000 einheimische, überwiegend in den Dörfern und Städten zwischen Stadthagen und Bad Oeynhausen zusammengetrommelte und mit Spaten ausgerüstete Helfer an. Steigende Chancen für die Damenwelt Zu den Hauptaufgaben gehörten Schanz- und Böschungsarbeiten. Kleinere Einsatzstellen wurden per Fahrrad angefahren. "Volksgenossen der Faust und Volksgenossen der Stirn schaffen allerorts für Deutschland und des deutschen Volkes Macht" meldeten am 8. August 1938 die heimischen Zeitungen im Nazi-Jargon. Die Bevölkerung betrachtete das hektischer Treiben vor ihrer Haustür mit gemischten Gefühlen. In den Gastwirtschaften rund um die Barackenlager ging es hoch her. Pöbeleien und Schlägereien waren laut Zeitzeugen an der Tagesordnung. Für viele Geschäftsleute aber entpuppte sich die Entwicklung als unverhoffter Segen. Lebensmittelhändler, Schlachter und Handwerksbetriebe durften sich über steigende Umsätze freuen. Einige Bauern wurden im Zweitberuf Fuhrunternehmer. Zufrieden soll auch die heimische Damenwelt gewesen sein. Ihre Chancen bei Tanzveranstaltungen und anderen Vergnügungen waren deutlich gestiegen, wie sich herausstellen sollte: Nicht wenige der Autobahner blieben der Liebe wegen für immer in der hiesigen Region "hängen".
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