SPIEGEL GESCHICHTE

 

Ausgabe 2 Seite 134 vom 29.03.2011


Autor: Reinhardt, Nora
Rubrik: DIE NACHFAHREN

 

 

Krone im Rucksack

 


Über zwei Jahrhunderte lang zierten edle Schmuckstücke aus Gold und Silber die Häupter der preußischen Könige. Der Schatz der Hohenzollern war oft in Gefahr, das Schicksal der Kleinodien gleicht einem Krimi.

 

 

 

 

 

 

 

Es war ein Sommertag im August, als Friedrich Wilhelm I. seine Krone zerstörte. Der "Soldatenkönig" war im Berliner Schloss und brachte Geld in die Schatzkammer, 300 000 Taler, ein Vermögen. Der Monarch ging allein die Treppe hinunter, bei sich eine Schere, "Herrn Brandhorstens Scheere", so steht es in einer Notiz im Geheimen Staatsarchiv Berlin, verfasst von einem empörten Hofmitarbeiter. Friedrich Wilhelm legte das Geld in den Tresor, nahm die goldene Krone heraus und sah sie sich ein letztes Mal an: 110 Diamanten, 8 Brillanten, 83 runde und 8 birnenförmige Perlen. Dann schnitt er sie entzwei.

Dieser 15. August 1737 war einer von vielen Schicksalstagen in der Geschichte der Hohenzollernkronen. Sie wurden im Laufe der Jahrhunderte zerstört, eingemauert und ihrer Edelsteine beraubt. Die Legenden, die sich um die königlichen Pretiosen ranken, sind abenteuerlich und rätselhaft. Sie erzählen viel, auch über die Häupter, auf denen sie saßen.

Was bringt einen König dazu, seine Krone eigenhändig zu zerschneiden? Was hat Friedrich Wilhelm I. veranlasst, jene Krone zu zerstören, die sein Vater Friedrich I. ihm geschenkt hatte, als er ein Kind war?

Kronprinz Friedrich Wilhelm war zwölf Jahre alt, als er die Krone 1701 bei der Krönungszeremonie seines Vaters trug. Als er sie zerschnitt, war er 49 und bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten König. Nachdem er die Krone eigenhändig demoliert hatte, pflückte er die Edelsteine.

Hatte die Barbarei praktische Gründe? Wollte Friedrich Wilhelm I. die Schönheit der Edelsteine freisetzen, anstatt sie im Tresor verstauben zu lassen? Oder lag ein Zwist zugrunde? Wollte Friedrich Wilhelm I. mit der Zerstörung ein Zeichen setzen gegen die verschwenderische Regierungsart seines Vaters?

Der Kunsthistoriker Matthias Franke, mit der Geschichte der preußischen Kronen vertraut, schreibt in seinem Aufsatz "Die preußischen Kroninsignien von 1701", dass die Kronen bei den preußischen Königen nach dem Tode Friedrichs I. nur noch wenig Beachtung fanden, auch weil es für sie "kaum noch zeremonielle Verwendung gab". Lediglich zur Krönung und zum Begräbnis habe das Herrschaftssymbol eine Rolle gespielt. Sicher ist, dass Friedrich Wilhelm I. die Kronprinzenkrone nur ein einziges Mal getragen hat, bei der Krönung seines Vaters.

Dieser, der erste Hohenzollernkönig, hatte für seine Krönung ein Dreier-Set in Auftrag gegeben: eine Königs-, eine Königinnen- und eine Kronprinzenkrone. Geht man davon aus, dass Kronen in der Tradition von Dynastien immer vom Vater zum Sohn weitergegeben werden, hätten die nach Friedrich Wilhelms Zerstörungswerk verbliebenen zwei Kronen bis zum Ende der Hohenzollernherrschaft gereicht.

Tatsächlich hat es in der über 200-jährigen Geschichte des preußischen Königshauses sechs Kronen gegeben: die drei Ursprungs-Kronen von 1701, dazu zwei neue Kronen, die Wilhelm I. 1861 anfertigen ließ, und eine weitere Krone, die Wilhelm II. 1889 in Auftrag gab.

Von den beiden Kronen von 1701 sind nur die Karkassen erhalten. Es sind die nackten Gestelle aus purem Gold, ohne Edelsteine und Samt(*).

Wo aber sind die Edelsteine, die an der Königs- und der Königinnenkrone von 1701 befestigt waren? Wer beraubte sie ihrer 325 Diamanten und 64 Perlen?

Es war Friedrich II., der "Alte Fritz". Kurz nachdem er 1740 König geworden war, ließ er die beiden Goldkronen auseinandernehmen. Einen Teil der Juwelen, so zeichnet es der Katalog der Kronschatz-Ausstellung nach, nahm er selbst an sich, den Großteil jedoch gab er seiner Frau Elisabeth Christine, die ihr Schwiegervater "nicht hässlich, auch nicht schön" fand. Sie durfte die Edelsteine zu Schmuck umarbeiten lassen. Später wurden die Klunker aus den Kronen von künftigen Königinnen als Brautschmuck getragen. Nur zu Beerdigungen mussten die Kronen häufig wieder kurzzeitig aus der Schatzkammer geholt werden.

Matthias Franke sieht darin eine Bedeutungsverschiebung der Kronen. Das "Spektrum an zeremoniellen Ausdrucksmöglichkeiten und Traditionsbildungen" wurde "unter allen preußischen Regenten beständig erweitert". Die Edelsteine der Kronen seien "in diesem Prozess zum Bedeutungsträger historischer Kontinuität" avanciert, während die Kronen selbst immer weniger wichtig wurden.

Dass ein König eigens neue Kronen für sich anfertigen ließ, muss nicht zwangsläufig aus Geltungsdrang geschehen sein. Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass es praktische Gründe für Wilhelm I. gab, sich zur Königskrönung 1861 neuen Kopfschmuck zuzulegen: Die alten Kronen waren schlicht zu groß, da sie auf Allongeperücken getragen wurden. Diese aber waren im 19. Jahrhundert längst aus der Mode gekommen. Wilhelm I. bestand nicht mehr darauf, dass die Kronen aus purem Gold waren, er ließ leichtere silberne Karkassen herstellen, die schlicht vergoldet wurden. Diese Kronen gelten seit dem Zweiten Weltkrieg als verschollen.

Neben den Karkassen der ersten Kronen ist noch die letzte Preußenkrone von Wilhelm II. erhalten. Ganz aus Gold gefertigt, 142 Diamanten, 18 Brillanten, 8 Perlen, ein großer Saphir, so liegt die wilhelminische Krone heute auf beigefarbenem Samt in einer Vitrine auf der Burg Hohenzollern nahe dem schwäbischen Hechingen. 300 000 Besucher kommen jedes Jahr, um sie zu sehen.

Es ist die einzige Hohenzollernkrone, die die Zeitläufte unversehrt überstanden hat. Zu verdanken ist dies allein der List eines Mannes: des Kurt Freiherr von Plettenberg, der von 1941 bis 1945 als hohenzollernscher Vermögensverwalter den Kronschatz und die Kostbarkeiten der Silberkammer behütete.

Kurz vor Kriegsende, im Februar 1945, war die Krone in akuter Gefahr. Ein Großteil des Schatzes war bereits im Kriegschaos verlorengegangen. Plettenberg musste handeln. Er packte die übriggebliebenen Pretiosen in zwei Blechkisten und brachte sie in die niedersächsische Ortschaft Bückeburg. Die Krone führte er im Handgepäck mit sich.

In Bückeburg schien ihm die Krone doch nicht sicher zu sein. Klammheimlich packte Plettenberg sie ein und wanderte eine Stunde lang mit der Krone im Rucksack durch die Nacht. In dem Dorf Kleinenbremen, heute ein Stadtteil von Porta Westfalica, klopfte Plettenberg den Pastor des Ortes aus dem Schlaf. Er brauche einen vertrauenswürdigen Maurer, sagte Plettenberg zum Dorfpfarrer.

Was dann passierte, berichtete der SPIEGEL 1948: "Mit einer Kerze stiegen der königstreue Freiherr" Plettenberg, "der zuverlässige Pastor" Martin Strathmann und der verschwiegene 75-jährige Maurermeister Friedrich Ackmann "noch in derselben Nacht in die Kirchengruft von Kleinenbremen hinunter und mauerten unter der untersten Stufe der alten Kirchenkellertreppe" die Krone ein. Einen Monat später wurde Plettenberg, der Retter der Hohenzollernkrone, wegen Kontakten zu den Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 verhaftet und brachte sich in Gefangenschaft um.

Wie aber tauchte die Krone wieder auf? Der Maurer schwieg, der Pfarrer auch. Eine kleine Notiz führte zu dem Versteck: Britische Offiziere, schrieb der SPIEGEL, fanden "bei der schaumburg-lippischen Vermögensverwaltung einen auf Plettenbergschen Andeutungen beruhenden schriftlichen Hinweis".

Die Briten schauten in der Kirchengruft nach, legten die Krone frei und brachten sie in den Mindener Reichsbank-Safe. Erst drei Jahre nach Kriegsende wurde sie den Hohenzollern zurückgegeben.

 

(*) Sie sind, neben rund 600 weiteren Exponaten, in der neuen Dauerausstellung "Kronschatz und Silberkammer der Hohenzollern" im Berliner Schloss Charlottenburg zu sehen; dazu ist auch ein Katalog erschienen (128 Seiten; 19,90 Euro).


 

Der Spiegel Geschichte - Die Hohenzollern

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