Der Gesteinsabbau unter Tage war Knochenarbeit. Hier ist ein Sprengkommando in den 1950er Jahren. Im Jahr 1900 waren Arbeitsgeräte und -Verfahren noch um ein Vielfaches primitiver und unfallträchtiger. Damals kamen in der Grube Wohlverwahrt mehre Männer ums Leben. Repro: Gerntrup (© gerntrup)
Porta Westfalica-Kleinenbremen (gp) Das Besucherbergwerk in Kleinenbremen hat vorige Woche das Fest der Heiligen Barbara gefeiert. Sie ist Schutzpatronin die Bergleute. Aufgrund der gefahrvollen Arbeit unter Tage und zahllosen schweren Unglücke mit katastrophalen Folgen für die Familien ist leicht zu verstehen, dass Bergmänner ihre Schutzheilige um Beistand und Trost bitten.
Die Geschichte der 1883 in Betrieb genommene Eisensteinzeche „Wohlverwahrt“ in Kleinenbremen ist gut dokumentiert, insbesondere über die technische und wirtschaftliche Entwicklung wurde viel geschrieben. Beinahe unbekannt sind jedoch bis heute die Namen und das Schicksal der Männer, die während der Arbeit verunglückten und dabei schwer verletzt oder nur noch tot geborgen wurden.
Nach vorsichtiger Schätzung aufgrund der noch zugänglichen Dokumente dürften in Kleinenbremen im Laufe der Jahrzehnte mehr als 100 Kumpel umgekommen sein. Die eindrucksvollsten Schilderungen darüber, wie und was sich im Einzelfall abspielte, kann man in zeitgenössischen Zeitungsberichten nachlesen.
Besonders schlimm waren die Arbeitsbedingungen in der Zeit zwischen dem Start des Gesteinsabbaus Mitte der 1880er Jahre bis zur vorübergehenden Stilllegung im Jahre 1923. Die Bergmänner mussten Knochenarbeit leisten, die Sicherheitsstandards waren miserabel. Die immer eindringlicher vorgetragenen Forderungen der Gewerkschaften und ein Streik im Jahre 1891 prallten an den Bossen im fernen Ruhrgebiet ab.
Der Betrieb gehörte der Dortmunder Union. Den Aktionären ging es vor allem ums Geld. Die Gesundheit der Leute im fernen Bauerndorf Kleinenbremen spielte für sie keine sonderlich große Rolle. Die Folge: im Laufe von knapp 40 Jahren gab es rund 60 Tote und Schwerverletzte. Allein im Jahre 1900 schlug das Unglück innerhalb eines halben Jahres sechsmal zu.
Für das größte Aufsehen sorgte ein Ereignis, das sich am 12. Dezember, wenige Tage vor Weihnachten, abspielte. Es war Samstagmittag, kurz nach Schichtbeginn. Unversehens ging eine Sprengzündung hoch. Karl Drinkuth aus Kleinenbremen und Friedrich Kruse aus Luhden konnten sich nicht mehr in Sicherheit bringen. Ihre Körper wurden durch die Wucht der Detonation in Stücke gerissen. Die Betriebsführung reagierte routiniert. „Sie haben leider bei dem gefährlichen Werke wohl nicht die nöthige Vorsicht gebraucht“, war in einer Pressemitteilung zu lesen. In den Folgetagen wurde das ganze Ausmaß der Tragödie deutlich. Zwei junge Frauen hatten den Ehemann, fünf Kinder zwischen ein und fünf Jahren ihre Väter verloren.
Im Dorf und in der Umgebung machten sich, neben Mitgefühl auch Wut und Verbitterung breit. Nur wenige Monate zuvor hatte es bereits fünf ähnlich schwere Unfälle mit drei Toten und einem halben Dutzend Schwerverletzten gegeben. In zwei Fällen waren Frauen mit jeweils fünf Kindern betroffen. Drei Bergleute hatten mit zerschmetterten Gliedern monatelang im Bückeburger Krankenhaus liegen müssen. Für die Familien bedeutete der Verlust des Ernährers, neben Leid und Tränen, jedes Mal auch finanzielle Not. Die Witwen- und Waisenversorgung reichte zum Überleben nicht aus. Das Sterbegeld betrug 30 Mark.
In dieser Situation startete der angesehene Chef des Bückeburger Krankenhauses, Dr. Reinhard Weiß, eine für damalige Zeit nicht alltägliche Hilfsaktion. Kurz vor Weihnachten erschien in den umliegenden Tageszeitungen eine Anzeige mit der Überschrift „Bitte!“. Es folgte eine kurze Schilderung des Anliegens und der Vorgeschichte. Zum Schluss warb der Arzt um „kleine Geldbeträge und nothwendige Kolonialwaren sowie für die Kinder (Knaben und Mädchen) noch brauchbare Kleidungsstücke und Spielsachen“. Er werde alles den betroffenen Familien am Heiligabend ins Haus bringen, kündigte Sanitätsrat Weiß an. Das werde mehr sein „als ein Trost im bittersten Schmerz in einer Zeit, in der das Weihnachtsfest anderen Freude bringt“.
Gleich nach den Festtagen gab Weiß – erneut per Zeitungsanzeige – das Ergebnis der Initiative bekannt. Dabei listete er auf den Pfennig genau alle Einzelpositionen auf. Insgesamt waren mehr als 60 Geld- und Sachspenden im Gesamtwert von über 300 Mark zusammengekommen – eine für damalige Verhältnisse außergewöhnlich hohe Summe.
Auf Vorschlag des Kleinenbremer Pastors Heinrich Strathmann wurden nicht nur die Witwen und Waisen des 12. Dezember, sondern auch die Hinterbliebenen der vorausgegangen Unfälle bedacht. Von den Spendern gab Weiß nur die Anfangsbuchstaben der Namen bekannt. Es sei manches Scherflein – und oft nicht nur ein kleines – von „Mühseligen und Beladenen“ abgegeben worden, ließ er die Leser wissen. Die Einzelbeträge lagen zwischen 50 Pfennig und zehn Mark.
Ein anonymer Spender hatte 50 Mark in einen Umschlag gesteckt – den Gerüchten zufolge Reinhard Weiß selbst.
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